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«Renaissance einer glutvollen Leidenschaft»

#ZIGARREN 7. November 2005

«Wir alle sind Würmer, nur glaube ich, dass ich ein Glühwürmchen bin“, soll Winston Churchill einst gesagt haben. Und wir dürfen annehmen, dass er sich eine Zigarre ansteckte, um das gelungene Bonmot gebührend zu genießen.
Gleichwie – was der gewichtige Premier mit geistreichem Understatement sagte, gilt inzwischen wieder für eine wachsende Gemeinde stilbewusster Genießer. Die Branche erfreut sich stabiler Umsätze trotz rauchfeindlicher Zeiten, Importeure kostspieliger Handgerollter melden gar erhöhte Nachfrage.»

Mit diesen Worten beginnt ein lesenswerter Handelsblatt-Artikel mit dem Titel «Vom Stumpen zum Stil – Stille Renaissance einer glutvollen Leidenschaft».

Stille Renaissance einerglutvollen Leidenschaft
Vom Stumpen zum Stil

Von Ole Töns

Wir alle sind Würmer, nur glaube ich, dass ich ein Glühwürmchen bin“, soll Winston Churchill einst gesagt haben. Und wir dürfen annehmen, dass er sich eine Zigarre ansteckte, um das gelungene Bonmot gebührend zu genießen.

Gleichwie – was der gewichtige Premier mit geistreichem Understatement sagte, gilt inzwischen wieder für eine wachsende Gemeinde stilbewusster Genießer. Die Branche erfreut sich stabiler Umsätze trotz rauchfeindlicher Zeiten, Importeure kostspieliger Handgerollter melden gar erhöhte Nachfrage.

Vorbei in jedem Falle die Zeiten von Opas stinkendem Stumpen. Die gute Zigarre, begehrt und geraucht wie ein Kultgegenstand, kostbar oft wie erlesener Wein, ist für viele wieder wahre, in jedem Falle aber glühende Leidenschaft.

Für Mario Benavides ist sie ein Stück Heimat. Hoch gewachsen, dunkler Teint, helles Sakko, teures Schuhwerk, so steht der gebürtige Kubaner im gedämpften Licht einer Lounge zwischen Tropenholz und Clubsesseln, mitten im alten bürgerlichen Berliner Westen, in der Gast-ronomiezeile des Fünf-Sterne-Ho-tels Steigenberger. Draußen dunkelt es, Paare in Abendgarderobe flanieren vorbei.

Benavides schaut in die Dämmerung und denkt an Kuba. Denn er raucht. Und zwar gewissermaßen Blätter von den Feldern seiner Kindheit.

Seit er zwölf Jahre alt war, hat er auf den Tabakplantagen des Karibikstaats gearbeitet. Kaum volljährig, ließ sein Vater ihn die erste Zigarre kosten.

Heute, auf Umwegen nach Berlin gelangt, hat er seinen eigenen Handel, bemüht sich, mit einer nicaraguanischen Zigarrenproduktion kubanische Erfahrungen umzusetzen, und betreibt die Vegabana-Lounge. Wo er neben edlem Rauchzeug und erlesenem Rum aus der Karibik Kurse anbietet in der Kunst, eine gute Zigarre zu rollen – vorgeführt von Spezialisten aus den Anbaugebieten für interessierte Liebhaber. „Afficionados nennen wir uns auf Spanisch“, sagt er milde lächelnd, als spräche er von etwas, was Worte eigentlich kaum mitteilen können.

„Diese Entspannung, dieses Glück des Geschmacks, der alle Partien des Gaumens reizt, das ist es, was die gute Zigarre ausmacht“, so sagt auch Kursteilnehmer Martin Barth, Verlagseigner und Tabakenthusiast.

Fasziniert beobachtet er währenddessen, wie ein erfahrener Zigarrendreher auf einem kleinen Pult sorgfältig seidige Blätter in verschiedenen Brauntönen ausbreitet.

Eine Zigarren-Pressform, eine halbmondförmige Klinge sind die einzigen Utensilien. Mit ein paar Schnitten bringt der konzentrierte junge Mann die Blätter in Form, dann faltet er sie vorsichtig zu einem länglichen Strauß – dem Innen-leben der künftigen Zigarre.

„Die Mischung der Einlage macht die Geschmacksrichtungen der Marken aus“, sagt Barth. Er ist Verfasser eines Ratgebers über Tabak von der Früh- und Alltagsgeschichte bis zum Eigenanbau. Schnell verwickelt er Benavides in ein leises Fachgespräch.

Klima und Bodenbeschaffenheit gehören zu den wichtigsten Bedingungen für hervorragenden Zigarrentabak.

Die Stärke des einzelnen Blattes ist außerdem von seiner Position an der Pflanze abhängig. Die obersten Blätter, die „Ligero“, bekommen am meisten Sonne, sind die stärksten. Nach unten hin folgen „Seco“ und „Volado“.

Doch die Zusammenstellung der Blätter ist natürlich nicht das einzige Geheimnis einer guten Zigarre. Wie sie abbrennt etwa, hängt davon ab, wie das Innenleben, der Wickel, gefaltet ist.

Eine gute Cohiba, immer noch eine Königin unter den Handgerollten, ist unter anderem daran zu erkennen, dass sie rundum gleichmäßig verglüht, selbst dann, wenn sie schief angezündet wird. Das jedenfalls verriet ihr erster und bis heute wohl berühmtester Liebhaber, Fidel Castro, dem US-Magazin „Cigar Afficionado“.

In der Vegabana-Lounge nimmt das Demonstrationsexemplar auf dem kleinen Pult derweilen schnell Form an. Noch fehlt das glatte, fein geäderte Deckblatt, das eigens für diesen Zweck im Halbschatten angebaut wird. Doch zunächst verschwindet der Wickel aus gefaltetem Einlagetabak und Umblatt erst einmal in der hölzernen Presse. Benavides geht zu seinen Humidoren. Zeit für eine kleine Verkostung.

Was nun folgt, ist ein leiser Rausch der ganz eigenen Art. Mag sein, dass die Zeit, die eine Zigarre braucht, das stille Verglimmen aller Hektik, die Stimulierung der Ge-schmacksnerven, der langsam auf-steigende Rauch, dem der Blick nachträumen kann, entscheidend zu diesem kleinen Urlaub vom Alltag beitragen, wie Benavides meint.

In jedem Falle aber ist der Reiz vollkommen anders als der einer Zigarette. Es ist ein seltsamerweise ebenso flüchtiger wie vollmundiger Geschmack, etwas bitter, herb, ja herbstlich schwer, mit blumigen Zwischentönen und einem Anflug von Schärfe, ohne wirklich beißend zu sein – so weit der natürlich sub-jektive Sinneseindruck.

Die Wirkung darüber hinaus hat Rauchern im Laufe der über zwei-hundertjährigen europäischen Geschichte der Zigarre immer wieder Worte entlockt, wie sie sonst wohl eher die Liebe inspiriert. „Bitten Sie mich nicht, den Charme der Träu-merei zu beschreiben, die besinnliche Ekstase, in die uns der Rauch einer Zigarre versetzt“, soll der französische Dichter Jules Sandeau Mitte des 19. Jahrhunderts geschwärmt haben, immerhin einer der „Unsterblichen“ der Académie Française.

Für ihn spricht, dass er der eigensinnigen Vielschreiberin Amantine-Aurore-Lucile Dupin innigst verbunden war. Dupin, die unter dem Künstlernamen George Sand zu Ruhm kam, gilt als erste Frau Europas, die öffentlich rauchte.

Sie befand, Zigarren brächten Schmerzen zum Schweigen und bevölkerten Einsamkeit mit tausend anmutigen Bildern. Dass viele solcher von Zigarrenliebhabern gern zitierten Hymnen dem Frankreich nach 1800 entstammen, dürfte übrigens kein Zufall sein. Im Gegensatz zum Adel, der dem Schnupftabak zuneigte, wurde die Zigarre Zugehörigkeitsmerkmal des aufstrebenden Bürgertums, galt mitunter gar als revolutionäres Laster. Erst im Laufe fortschreitender Industrialisierung wurde sie zum Requisit saturierter Kaufleute und Fabrikanten, die nun ihrerseits die etablierte Klasse darstellten.

Als draller Boss mit schwarzem Dreiteiler und Zylinder war der Typus bis vor wenigen Jahrzehnten in Karikaturen zu finden. So weit die Außenperspektive.

Ebenso unterschiedlich wie ihre Verehrer sind, so werden auch die Freuden der Zigarre beschrieben. Im Gegensatz zur Zigarette, die im späten 19. Jahrhundert als zeitgemäß zeitsparend in Mode kam, im Gegensatz auch zu ihrem Anfang der 90er auf provokant polierten Protzimage hat sie viel öfter zum Zurücklehnen, zur Besinnung, zum Träumen verführt.

Von Häuptlingen und Schamanen zum stillen Zwiegespräch mit den Göttern geraucht, von Kolumbus’ Gefolgschaft erstmals auf Kuba beobachtet, später nach Europa eingeführt, verwandelte sie bei jenen, die ihr verfielen, „Gedanken in Träume“. So poetisch brachte es Victor Hugo auf den Punkt.

Da erklingt Benavides’ Stimme. „Wissen Sie, das alles ist hier vor ein paar Jahren in Mode gekommen.“ Seine Montecristo ist gerade bis zu jenem Punkt in der Mitte des braunen Leibes verglüht, wo der Afficionado aufhört zu rauchen. Dann fährt er fort: „Bei uns war es immer schon eine Frage der Lust.“

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