Zurück zur Übersicht

… und sie sind trotzdem Kult ;-)

#VERSCHIEDENES #ZIGARREN 28. April 2005

Ich wollte die Kolumne von Walter Bosch im Cigar 1/05 schon lange mal bringen. Sie ist toll, anregend und sehr unterhaltsam, auch wenn man – wie ich auch – eine massiv divergierende Meinung hat.

Ich rauche gern. Und ausschliesslich Zigarren. Ich rauche sie nicht wegen dem unsäglichen Kult, der um diese braunen Stengel aus getrockneten Blättern getrieben wird. Sondern trotzdem.
Wenn es etwas gibt, was einem die Zigarre im Mund verleiden kann, sind es die Hohepriester der spätkapitalistischen Genusskultur mit ihrem mythischen Getue. Oder die Macho-Fundis, die auf dem Titelblatt der edlen Publikation «Cigar» einen abgehalfterten Boxer mit einer Robusto zwischen gebleckten Zähnen quer im Mund abbilden. Will er mir Angst machen? Will er die Zigarre essen? Will er seine Testosteron-Produktion ankurbeln?

Vor bald zwei Jahrzehnten hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Ich war damals noch ein integrierender Bestandteil de Journalisten-Milieus. Der Jean-Etienne-Aebi – schon damals ein Guru der Werbeszene – erklärte mir beiläufig, dass er pro Monat das Gehalt einer guten Sekretärin für Zigarren ausgebe. Ich erleide so etwas wie einen Kulturschock und sage mir: Nie Zigarren, nie Werbung. Zwei Jahre später habe ich eine Werbeagentur. Und rauche Zigarren. Nicht weil. Sondern obwohl. Allerdings dürfte bei mir das Gehalt eines dominikanischen Plantagen-Aufsehers reichen.

Eine höhere Dimension der Peinlichkeit ist der Konsum einer Zigarre in einem Restaurant der Luxusklasse. Der Maitre d› trägt die Kiste wie eine Monstranz vor sich her, was mit an meine Vergangenheit als Ministrant in der katholischen Kirche erinnert. Die Assoziation ist nahe liegend: Wir wetteiferten damals, wer mehr Weihrauch in seinen Kübel organisieren konnte. Es waren gewaltige Rauchschwaden, die wir produzierten. In den vordersten Reihen wurden die Kirchgänger regelmässig ohnmächtig. Was mich wiederum an den Finanzchef meiner damaligen Agentur erinnert. Ich wollte ihn zusammenstauchen und bot ihm dazu eine Zigarre an. Er wurde im Verlauf des Gesprächs immer blasser und endete schliesslich auf dem Boden meines Büros mit hochgelagerten Beinen und einem nassen Lappen auf der Stirn. Meine Vorhaltungen gingen in den – im Zivilschutz erlernten – LRSM (lebensrettende Sofortmassnahmen) unter.

Jetzt bin ich mächtig abgeschweift, aber das gehört ja zu den wunderbaren Eigenschaften der Zigarre, dass sie ein Assoziations-Booster (jetzt fang ich auch schon mit dem Mystifizieren an). Also, zurück zum Maitre d›. Er schneidet die Spitze weg, als ob es sich um einen Eingriff am offenen Herzen handeln würde. Dann folgt ein minutenlanger Prozess des Anzündens mit einem Streifen Edelholz und als Höhepunkt schliesslich dieses weiträumige und bombastische Armgewedel, das den unschuldigen Raucher zum ungewollten Mittelpunkt des ganzen Lokals macht. Ich rauch sie dann jeweils trotzdem. Nicht weil. Sondern obwohl.

Ehrlich gesagt: Meistens lasse ich das Ritual gar nicht zu. Ich nehm ihm den Stengel weg, beisse die Spitze ab (ich verfüge durch eine Laune der Natur über eine ideale Zahnstellung dafür), klicke ein Feuerzeug an und verteile die Flamme formlos über den vorderen Teil des Rauchzeugs. Wenn jetzt die Weicheier des kultivierten Zigarren-Zelebrierens erschaudern, habe ich leider keinen Trost. Zigarren gehen schliesslich in Rauch auf. Kolumnen nicht.

Weiter Entdecken